Wagyu und Kobe Beef bald aus japanischen Gewässern?

Philipp Hämmerli | 18. November 2023

Die japanische Küche und ihre Zutaten gehören zu den Besten auf unserem Planeten. Während Wagyu und Kobe Beef nur vertieften Fleischkundigen ein Begriff ist, kennt jedes Kind auf dem Globus Sushi. Die überaus gesunde Mahlzeit aus rohem Fisch in seinen diversen Formen hat die Welt im Sturm erobert. Blöd nur, dass Japan vergessen hat, mit dem traditionellen Rezept auch den Fisch in grossen Mengen zu exportieren. Unsere Reise ins Land der aufgehenden Sonne ist eine Spurensuche, ob Japan dank ihrer Traditionsspeise verspätet ein neuer Wirtschaftszweig erwachst.

Konsum und Selbstversorgung von Fisch

Die Bevölkerung Japans ist wahrlich ein Land der Fischesser. Das kann mit Zahlen untermauert werden: Mehr als doppelt so hoch ist der Fischkonsum (46kg Bruttogewicht) im Vergleich zur Weltpopulation (21kg). Vor über 20 Jahren konsumierte die durchschnittliche Person aus Japan sogar über 70 Kilogramm. Die Ursache für den beträchtlichen Rückgang kann mit zwei Entwicklungen begründet werden. Erstens war der hohe Konsum nur dank einer starken Fischfangflotte und wenig Konkurrenz möglich. Fast 8 Millionen Tonnen Wildfang landeten japanische Schiffe in den 70er und 80er Jahren pro Jahr, was das Land der aufgehenden Sonne zum Selbstversorger werden liess. Das darauffolgende Aufkommen anderer Nationen wie China und deren Ansprüche für die Fischbestände bedeuteten den Beginn des Rückgangs für Japan.

Immer hübsch zubereitet: Eine Stachelmakrele («Aji» auf Japanisch) als Sashimi. Quelle: Bonafide

Dank einer hohen Kaufkraft gelang es bis in die frühen 2000er Jahre, das durch die Nachfrage nach Fischproteinen entstandene Vakuum mittels Importen zu schließen. Durch die stagnierende Wirtschaftsleistung ab der Jahrtausendwende verlor Japan jedoch an finanzieller Kraft, womit auch die Einfuhren zu sinken begannen. Die zweite spürbare Evolution war, dass sich die japanische Bevölkerung durch die Globalisierung von der westlichen Küche mit einem höheren Fleischanteil beeinflussen liess. Insbesondere das preiswerte Geflügel landete mehr und mehr auf den Tellern. Die Selbstversorgungsrate mit Fisch lag im Jahr 2020 für die einst grösste Fischereination bei noch lediglich 57%.

Auf den wirtschaftlichen Lorbeeren ausgeruht?

Es mag erstaunen, dass der Konsum von Sushi weltweit kräftig angestiegen ist, während der Fischverzehr im Herkunftsland abklang. Was mehr verblüfft, ist, dass die einst so stolze japanische Fischereiindustrie aus dem globalen Wachstum ihres Traditionsgerichts keinen Profit schlagen konnte. Noch schlimmer, man hat das Feld anderen Küstennationen wie Norwegen mit ihrem atlantischen Lachs überlassen, obwohl dieser nach traditionellem, japanischen Rezept nie ein Fisch für Sushi-Gerichte war. Was die Exportnation Norwegen besser machte? Man setzte frühzeitig auf die Aquakultur, da man erkannte, dass der Wildfang stagniert und Meeresfische ebenfalls erfolgreich gezüchtet werden können. Nebst der Selbstversorgung könnte man Japan auch zugutehalten, dass sie zu Gunsten der Qualität verderblichen Fisch bewusst nicht exportierten und der Welt ihre Küche lieber im Heimatland fangfrisch offerierten.

Bescheidene und kostenbewusste Hafengebäude für die Anlandung der Ernte. Quelle: Bonafide

Immerhin ist Japan eine Insel und liegt etwas abgeschottet nordöstlich anderer asiatischer Staaten. Zeiten ändern sich bekanntlich und Technologie und Logistik für Tiefkühlung machten Fortschritte. Während unserem Aufenthalt in Nippon haben wir denn auch grosse Anstrengungen vorgefunden, diese verpasste Chance aufzuholen. Die Aquakultur für die traditionellen Sushi-Fische steht am Anfang und gut möglich, dass man die erfolgreiche Wachstumsstory des atlantischen Lachs kopieren kann. Mit Rückendeckung aus der Politik für die Erhöhung der Selbstversorgung ist das Umfeld für Investitionen zudem äusserst attraktiv.

Rezept für eine erfolgreiche Aquakulturnation

Gibt es eine Geheimformel wie die Industrialisierung der Fischzucht von statten geht? Nun, Fisch ist nicht gleich Fisch, aber die meisten Spezies und Aquakulturen teilen Gemeinsamkeiten. Man kann daher von Erfolgsstorys wie jener in Skandinavien lernen. Die norwegischen Pioniere investierten Jahrzehnte in die Genetik von Lachsen, indem sie die besten Tiere miteinander kreuzten. Die Fische wurden robuster und wandelten Futter schneller in Wachstum um. Das half Kosten zu sparen und ein erschwingliches Protein in Europa zur Verfügung zu stellen.

Hand-Rolled Sushi Rezept. Quelle: Emiko Davies, australisch-japanische Food-Autorin

Mit der wachsenden Industrie entlang der Küste Norwegens entstanden Zulieferunternehmen, die Lösungen oder Services entwickelten, welche die Farmer effizienter arbeiten liessen. Arbeitsschritte, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, wurden ausgelagert. Das entstandene Know-How und der regelmässige Austausch in der Zusammenarbeit oder an Konferenzen endete schlussendlich in der Bildung von Clustern. Diese Interaktionen zusammen mit der Profitabilität durch gesunkene Produktionskosten führen exponentiell zu Innovationen, die technologischen Fortschritt ermöglichen und auch grosse Probleme früher oder später beseitigen. Damit kein Überangebot am Markt entsteht, benötigt es kontrolliertes Wachstum durch Lizenzvergaben für definierte Volumen, was Norwegen im vergangenen Jahrzehnt implementierte. Zu guter Letzt besteht die Aufgabe darin, global eine Nachfrage für die Fischproteine zu schaffen. Dies kann mittels Bewerbung von Qualitätsmerkmalen oder dem Vorschlag von Rezepten stattfinden. Für einen Rohstoff wie Fisch bedarf es aber einer nationalen Organisation, welche angesichts breiterer Finanzierung gezielte Marketingkampagnen fahren kann. Hinter dem Brand «Seafood from Norway» steht eine starke Branchenorganisation, welche exakt für gemeinsame Werbezwecke geschaffen wurde.

«Seafood from Norway»

Wo steht Nippon?

Bei der Genetik setzt Japan auf die Entwicklung von bekannten Sushi-Fischen wie Yellowtail Kingfish oder Amberjack, die die heimischen Wassertemperaturen im Süden gewohnt sind. Ebenfalls wird am Thunfisch getüftelt. Die Selektionsprogramme laufen teilweise seit 15 Jahren, auch an schulischen Einrichtungen wie Universitäten. Fortschritte sind erkennbar, denn es gibt erfolgreiche landbasierte Fabriken, die hunderttausende Kleinfische für die Anlagen an den Küsten produzieren. Die Bildung einer Zulieferindustrie und von Clustern sind noch etwas bescheiden. Innovationen wie neue Käfigtechnologie werden jedoch mit staatlichen Subventionen und Darlehen gefördert. Ein grosser Vorteil Japans ist, dass Seafood-Konglomerate am Werk sind, die finanzstark sind, um auch mal Verluste mit Mitteln aus anderen Bereichen querfinanzieren zu können. Die langfristige Orientierung ist typisch japanisch.

Bonafide beim Besuch einer Aquakulturfarm im Süden Japans. Quelle: Bonafide

Es sind gute Leute am Werk, die gerne tüfteln und neue Dinge ausprobieren, aber stets kostenbewusst. Wo Japan Aufholbedarf hat, ist bei der globalen Vermarktung. Den Kollegen an Land mit ihren Rindern wie Wagyu und Kobe ist dies angesichts der erzielten Premiumpreise sehr gut gelungen. Dank der Berühmtheit von Sushi könnte es für die Aquakulturen und ihre Fische ein leichtes Spiel werden. Wie Schweizer Käse, schottischer Whiskey oder Rohschinken aus Spanien, dürften wir in den nächsten zehn Jahren wohl ein erstes Mal von japanischem Fisch auf dem europäischen oder amerikanischen Markt erfahren.

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