Fakten verändern sich!

Philipp Hämmerli | 31. Januar 2022

Die Welt dreht sich und mit ihr die Faktenlage. Wie Autos heute wesentlich weniger Sprit pro Kilometer verbrauchen als früher, macht die Aquakulturindustrie enorme Fortschritte im Umweltbereich. Ist die Meinung einmal gefällt, tun sich Menschen und offensichtlich auch Wissenschaftler schwer damit, Veränderungen zum positiven anzuerkennen. Ein Seitenhieb in einem Radiointerview gegen die Aquakulturen entpuppt sich als Verstoss gegen die wissenschaftliche Maxime, stets mit aktuellen Daten zu handeln.

Radiointerview mit Biologin im Staatsradio SRF

Im Auto sitzend höre ich im Sommer 2021 diesen Beitrag, bei dem es eigentlich um die Flusswanderung des Wildlachs geht, die im Rhein schon vor Jahrzehnten endete – wohl durch die Menschen verursacht. Aber wie so oft in solchen Abhandlungen werden ohne eigentlichen Zusammenhang noch ein paar Seitenhiebe gegen die erfolgreiche Lachszucht ausgeteilt. Obwohl die zahlreichen Vorteile von Aquakulturen die wenigen Nachteile bei weitem überragen, lösen sie bei gewissen Menschen offensichtlich ungute Gefühle aus. Vielleicht ist die Industrie noch zu jung. Bei Hühnchen, Schwein und Rind gab es für die meisten Menschen die Idylle der wild lebenden Tiere gar nie. Da wir uns bei Bonafide mit den wissenschaftlichen Fakten der Aquakultur beschäftigen, drehe ich bei derartigen Berichterstattungen das Radio gerne lauter, um zu hören, ob die Aussagen mit meinem Wissensstand übereinstimmen.

Die zitierte Expertin ist Biologin und Wissenschaftlerin, da darf sich die neutrale Zuhörerschaft auf die erläuterten Fakten «im guten Glauben» verlassen. Das Redaktionsteam des staatlichen Radiosenders der Schweiz SRF verliess sich ebenso auf den Expertenstatus. Zu meinem grossen Erstaunen gab es drei Aussagen, die mir wesentlich anders in Erinnerung waren. Erstens wirft die Biologin der Lachsindustrie vor, dass ein Kilogramm Lachs auf Kosten von 2-3 Kilogramm Wildfischen gezüchtet wird. Zweitens trage die Industrie damit zur Ausrottung der Wildfische bei. Und drittens essen die Zuchtlachse anderen Menschen die Wildfische weg. Da ich mich als Finanzanalyst einer gelernten Biologin und Wissenschaftlerin in dieser Thematik eigentlich unterlegen fühle, begann ich zügig meine Quellen zu hinterfragen. Etwa gleich schnell musste ich feststellen, dass ich unbedingt die Quellangaben dieser Dame brauche, denn meine erneute Recherche bestätigten meine Fakten, die so gar nicht mit den negativ behafteten Aussagen am Radio übereinstimmten.

Austausch der gegenseitigen Fakten

So begann ich meine Quellen in eine E-Mail ans Redaktionsteam des Schweizer Radio und Fernsehen zusammenzutragen mit der freundlichen Bitte um Rückmeldung, um welche wissenschaftlichen Quellen es sich bei der Expertin exakt handelt. Nach rund zwei Monaten des Wartens blieb ich hartnäckig und kontaktierte das SRF erneut höflich via E-Mail. Diese gemäss meiner Faktenlage falschen Aussagen am Radio so stehen zu lassen, wollte ich nicht. Ich hatte aufgegeben, als einen weiteren Monat später zu meinem grossen Erstaunen doch eine Antwort eintraf. Die erste Anfrage sei nicht an die richtige Stelle gelangt und bei der zweiten Erkundigung verzögerten sich die Abklärungen wegen Ferienabwesenheiten um ein paar Tage. Viel wichtiger als die Entschuldigung, war aber die Quellangabe zu den Fakten der Wissenschaftlerin. Zitat:

«Die Gesprächspartnerin XY ist Biologin, sie ist Wissenschaftlerin und hat für Ihr Buch «Der Lachs. Ein Fisch kehrt zurück», das 2011 erschien, die Daten recherchiert und auch vom WWF nachprüfen lassen. Auf diese Datenlage bezieht sie sich im Wesentlichen im Gespräch. Ich habe sie auf Ihr Nachfragen hin abermals kontaktiert und sie steht auch weiterhin zu diesen Aussagen.»

Bild Mann Angelrute

Voilà! Eines der höchsten Gebote der Wissenschaften besteht darin, stets mit aktuellen Daten zu handeln. Dieses reale Beispiel zeigt jedoch exemplarisch, dass noch lange nicht alle nach dieser «Maxime» leben und arbeiten. Die Quellen der Biologin sind nicht grundsätzlich falsch, sie sind einfach veraltet! Man stelle sich vor, Ernährungsexperten der UN-Organisationen würden heutzutage die Regierungen Afrikas auf Basis der Bevölkerung im Jahr 2010 beraten. Sie würden glatt 300 Millionen Menschen, die heute zusätzlich zu der einen Milliarde Menschen die bereits 2010 auf dem Kontinent lebten, von strategisch wichtigen Entscheidungen ausschliessen. Eine Hungerkatastrophe wäre vorprogrammiert. Die Metapher ist weit hergeholt, aber es zeigt wie stark sich Dinge innert kurzer Zeit verändern können. Für uns stellt sich daher die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, mit 10 Jahre alten Daten, die längst überholt sind, vor die Öffentlichkeit zu treten.

Faktenvergleich

Die drei veralteten Fakten möchten wir noch transparent aufdatieren. Bezüglich der Fütterung mit Wildfischen in Form von Fischmehl und Fischöl mehrheitlich aus Sardellenspezies, liegt der Wert bereits seit 2013 in Norwegen bei 0.7 Kilogramm statt 2-3 Kilogramm wie das vor 2010 üblich war. Die 2015 veröffentliche Studie von Nofima ist öffentlich verfügbar. Der Vorwurf des Beitrags zur Ausrottung der Wildfischbestände kann dahingehend widerlegt werden, als dass selbst NGOs wie beispielsweise die Marine Conservation Society solchen Fischereien respektive Spezies heute gute Noten verteilen. Die Bewertung referenziert auf die grösste Fischerei für Fischmehl und Fischöl, welche sich in Peru und Chile befindet. Ein weiterer Nachweis zu einer stabilen und überwachten Biomasse von Sardellen in Peru liefert Austevoll Seafood, welche sich in unserem Portfolio befindet und an der Fischerei beteiligt ist. Jedes Quartal legt sie bei der Berichterstattung auf Seite 5 der Präsentation die mehrjährige Biomassenentwicklung auf. Diese zeigt seit bald 20 Jahren eine stetige Entwicklung auf.

Für den dritten Vorwurf, dass Zuchtlachse den Menschen die Wildfische wegessen, hat die Organisation für maritime Futterinhaltsstoffe (IFFO) auf ihrer Webseite eine Case Study, die genau diese Problematik anspricht, publiziert. Diese Sardellenart in Peru und Chile wird maximal 10 Zentimeter gross. Diese geruchsstarken Fische in geniessbare Filets zu verarbeiten ist schlicht unmöglich. Und für den ganzen Fisch gibt es einfach keine genügend grosse Nachfrage, um die jährlichen, nachhaltigen Fangerträge abzusetzen. Dabei wäre der Fisch mit Produktionskosten von unter 40 Cents pro Kilogramm dermassen günstig, dass die Industrie sehr wohl an einem Markt für Menschenkonsum interessiert wäre. In der Summe sind das markante Fortschritte, die die Lachsindustrie und ihre Zulieferunternehmen wie die Sardellenfischereien, in wenigen Jahren erzielt haben. Weitere Fortschritte dürfen anlässlich der zahlreichen Bestrebungen zu noch mehr Nachhaltigkeit erwartet werden.

Im Zusammenhang mit veralteten Fakten haben wir noch eine Buchempfehlung bereit. Der Statistiker und Wissenschaftler Hans Rosling, der mittlerweile leider verstorben ist, veröffentlichte mit seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund und seinem Sohn Ola Rosling 2018 das Buch «Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist». Beeinflusst von reisserischen Schlagzeilen der Medien wird auf der Erde alles immer schlimmer. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Es gibt immer mehr Kriege, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen. Mit eindrücklichen Statistiken und Fakten widerlegt er zahlreiche voreingenommene Weltbilder. Tatsächlich wird die Welt in zahlreichen Belangen besser und erträglicher für die Gesamtbevölkerung. Ebenso zeigt das Buch die Wichtigkeit von aktuellen Daten auf. Was wir vor 20 Jahren mit unserem westlichen Weltbild in der Schule über Asien und Afrika gelernt haben, ist heute schlicht und einfach nicht mehr aktuell. In einer unterhaltsamen Art und Weise hilft das Buch sich weg von angeblichen Sensationen auf Fakten zu stützen. Wer die Zeit fürs Lesen des Buchs nicht aufbringt, kann auch einen aufgezeichneten TED Talk mit Hans Rosling kostenlos anschauen.

Bild Buch

How not to be ignorant about the world | Hans and Ola Rosling

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